Alternative Kriterienkataloge und Ratingkonzepte /öffentliche Diskussion / ESG / SDG  / Siegel / Indizes / Greenwashing / EU

 

 

Existierende Siegel und Bewertungen

 

Ähnlich wie unser Beurteilungsansatz (vgl. Kriterienkatalog) definiert das „Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V.“, der Branchenverband für nachhaltige Geldanlagen, positive und negative Kriterien für Nachhaltigkeit. Allerdings erscheint auch dieser Beurteilungsrahmen noch sehr unvollständig und inkonsistent, insbesondere bei den positiven Anlagekriterien. Aber auch die Aussagekraft der öffentlichen Selbstdarstellung der untersuchten Unternehmen durch Selbstverpflichtungen zur Einhaltung der ILO-Konventionen oder der OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen im Bereich guter Unternehmensführung („corporate governance“) erscheint fraglich. (Vgl. www.forum-ng.org/de/nachhaltige-geldanlagen/nachhaltige-geldanlagen.html)

 

Dennoch ist das Forum Nachhaltige Geldanlagen sicherlich hinsichtlich Kritierien und konkrete Umsetzung am weitesten. Die Website enthält auch eine Einstufung zahlreicher Investmentfonds nach den FNG-Nachhaltigkeitskriterien. Dies ist sicherlich ein guter Ansatz. Allerdings muss man wissen, dass es sich bei FNG um einen Branchenverband handelt, dass es sich nur um Fonds von FNG-Mitgliedern handelt (also i.d.R. Banken und Kapitalanlaggesellschaften) und dass die Nachhaltigkeitsbeurteilung der einzelnen Fonds durch die Fondsanbieter selbst (!!!) erfolgt. Deren Nachhaltigkeitsbeurteilung geschieht aber überwiegend durch externe Agenturen (z.B. "imug-Beratungsgesellschaft"), deren Kriterienkataloge (z.B. "imug-Kriterien") zwar teilweise öffentlich zugänglich sind, stets aber nur in Form von Untersuchungsfeldern (z.B. "Umgang mit den Arbeitskräften"), nicht aber hinsichtlich von tatsächlichen Bewertungsmaßstäben (Wie müssen z.B. die Beziehungen zu den Arbeitskräften sein, damit ein Unternehmen als gut oder schlecht beurteilt wird? Wie muss die Regierung eines Staates sein, damit er eine gute Staatsführung bescheinigt bekommt? usw.). Man verlässt sich offenbar darauf, dass diese Agenturen schon irgendwie richtig entscheiden und bewerten werden.

 

Gleiches gilt für das Gütesiegel "Transparent" von Eurosif mit den Kriterien Transparenz, Informationen für Anleger, Vielfältigkeit und keine Vorgabe ethischer Standards (http://www.nachhaltiges-investment.org/Ratings/Publikumsfonds.aspx). Dieses Label sollte eigentlich sogar das europäische Standard-Siegel für nachhaltige Geldanlagen werden. Es hat sich allerdings bis heute nicht durchgesetzt. Übrig geblieben sind nur die Nachhaltigkeitsprofile der für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständigen FNG.

 

Seit Dezember 2015 vergibt das FNG jährlich auch „Qualitätssiegel“ an Investmentfonds. Die Fonds müssen hierfür den Transparenz-Kodex der europäischen Branchenorganisation Eurosif einhalten und ihr Nachhaltigkeitskonzept öffentlich durch ein FNG-Fondsprofil darstellen. Die Fondsgesellschaft müssen  mindestens 90 Prozent ihres Portfolios nach Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (kurz ESG) analysieren und dies dokumentieren. Gefordert ist zudem der Ausschluss von Waffen, Kernenergie, Menschen- und Arbeitsrechtsverstößen, Umweltschädigungen und Korruption. Außerdem sind Staaten auszuschließen, die laut Ranking der Menschenrechtsorganisation Freedom House als „nicht frei” gelten, ebenso die Schlusslichter im Korruptionsindex von Transparency International sowie Staaten, die die UN-Konvention zur biologischen Vielfalt nicht ratifiziert oder gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen haben.

 

Beim "österreichischen Umweltsiegel", das auch für Kapitalanlagen verliehen wird, sind die genauen Nachhaltigkeitskriterien für uns überhaupt nicht erkennbar ("umweltschonende Produkte, die eine angemessene Gebrauchtauglichkeit und Qualtität aufweisen"). Unsere Nachfrage beim österreichischen Umweltamt wurde bislang leider nicht beantwortet. Die mit dem Siegel ausgezeichneten Produkte sprechen nicht gerade für die Qualität des Siegels. 

 

Ebenfalls ein Siegel vergibt die Online-Zeitschrift ECOreporter. Für das ECOreporter-Siegel ist das Nachhaltigkeitsversprechen des Anbieters und vor allem seine Einhaltung entscheidend. Ausschlusskriterien für die Nachhaltigkeit sind (in Klammern die Toleranzgrenzen):

•    Bau und Betrieb Atomenergie (5%)

•    Rüstung (Produktion und Handel) und Militär (5%)

•    Ausbeuterische Kinderarbeit nach ILO-Standard 

•    Praktizierte Todesstrafe

•    Schwere Menschenrechtsverletzungen.

Trotz dieser geringen Mindeststandards scheint dieses Siegel aber insgesamt deutlich strengere Nachhaltigkeitskriterien als FNG anzulegen, da nur sehr wenige Produkte diese Kriterien erfüllen. Der Ecoreporter ist auch breiter aufgestellt und untersucht kleinere alternative Kapitalanlagen bis hin zum "grauen Kapitalmarkt".

 

 

Drei aktuelle Rating-Beispiele
FNG_Nachhaltigkeitsprofile.pdf
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Interessant erscheint hingegen der "Portfolio Footprint"-Ansatz einer schweizer Bank, der die gesamtgesellschaftliche Auswirkung eines Bankdepots in den drei Dimensionen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt und anhand von neun verschiedenen Themenbereichen analysiert und bewertet. Leider sind dem Internet keine konkreten Kriterien zu entnehmen und die Bewertung ist zwar aufbereitet, letztlich aber nicht nachvollziehbar (Vgl. http://www.portfolio-footprint.ch/).

 

Sehr konkrete Bewertungen vergibt auch die Agentur CSRHUB. Schade ist allerdings, dass die dort gefundene Punktebewertung nicht näher erläutert wird. Und die Bewertung ist nicht gerade glaubwürdig. Dass z.B. Adidas hinsichtlich CSR/ESG zurecht 99 von 100 möglichen Punkten erhalten hat, erscheint angesichts der jahrelangen öffentlichen Diskussion um die Produktionsbedingungen der Sportschuhe und Sportkleidung kaum glaubhaft.

 

Im sog. "Natur-Aktien-Index" (NAI) werden ca. 40 Unternehmen gelistet, die zwei von vier Positivkriterien erfüllen (z.B. 

"Produkte oder Dienstleistungen, die einen wesentlichen Beitrag zur ökologisch und sozial nachhaltigen Lösung zentraler Menschheitsprobleme leisten" oder "Branchen-Vorreiter im Hinblick auf die Produktgestaltung") und 13 Ausschlusskriterien vermeiden (z.B. "Unterbindung gewerkschaftliche Tätigkeit"). Leider sind die Bewertungen aber nicht im einzelnen dargestellt. So weiß man auch nicht, warum z.B. ausgerechnet "Tesla" trotz der Umweltprobleme bei der Batteriefertigung in den Kreis der "Natur-Aktien" aufgenommen wurde.

 

 

Weitere Kriterienkataloge

 

Der "Leitfaden für ethisch nachhaltige Geldanlage in der evangelischen Kirche" beinhaltet viele gute Ideen. Doch er ist nicht sehr systematisch und teilweise auch fragwürdig (z.B. Alkohol über 15%, "kontroverse Formen des Glücksspiels" und Produktion von Rüstungsgütern als negatives Ausschlusskriterium bei gleichzeitig kritikloser Akzeptanz von Best in- und Best of-Ansätzen).

 

Auch die Evangelische Kirche von Westfalen besitzt mit den drei Kriterien Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einen interessanten Nachhaltigkeitsansatz, der als "Ethikfilter" für Banken und Fonds dienen könnte. Leider bleibt das Papier aber dann bei den tatsächlichen Bewertungskriterien für Fonds erstaunlich nichtssagend (umfassend dazu: https://www.ecoreporter.de/artikel/ethisch-nachhaltige-geldanlage-die-kirchen-als-avantgarde-ethisch-motivierter-investments/)  

 

Keinen inhaltlichen Kriterienkatalog, sondern eine „Prozessanleitung“ für Finanzinvestoren bietet die neueste Veröffentlichung der Katholischen Kirche (Deutsche Bischofskonferenz, Ethisch-nachhaltig investieren – Eine Orientierungshilfe für Finanzverantwortliche katholischer Einrichtungen in Deutschland, Bonn 2015). Sie spricht sich nur dafür aus, dass Finanzverantwortliche in der Katholischen Kirche neben Rendite, Sicherheit und Liquidität auch „ethisch-nachhaltige“ Wertmaßstäbe berücksichtigen sollten(!), und dies dass im Rahmen eines siebenstufigen Verfahrens geschehen sollte, das von der Ermittlung des Finanzbedarfs (Schritt 1) über die Erarbeitung eines Nachhaltigkeitsverständnisses und Definition von Anlagekriterien (Schritt 2) über die Auswahl geeigneter Dienstleister (Schritt 5) und Produkte (Schritt 6) bis hin zur regelmäßigen Überprüfung der eigenen Anlagestrategie reicht (Schritt 7) (vgl. ebenda, S.10ff. und 29).

 

Einen konkreten Kriterienkatalog enthält die Orientierungshilfe der Katholischen Kirche nicht, sondern nur allgemeine Leitlinien („Verantwortung für die Schöpfung“, „bewahrender Umgang“, „keine Aufzehrung von Gemeinressourcen“, keine Kostenverlagerung auf Dritte, die Umwelt oder die nachfolgenden Generationen“, „positiver Beitrag zum Gelingen menschlichen Lebens“, S. 16f.) und 17 Beispiele „möglicher ethisch-nachhaltige Ausschlusskriterien“: Abtreibung, Arbeitsrechtsverletzungen, Embryonale Stammzellenforschung, Pornografie, Suchtmittel (Tabak, Alkohol, Glücksspiel), Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Rüstung, Todesstrafe, totalitäre Regime, unlauteres Geschäftsgebaren, ausbeuterisches Umweltverhalten, Atomenergie, gefährliche Chemikalien und klimaschädliche Substanzen, grüne Gentechnik, Rohstoffabbau und Rohstoffspekulation sowie Tierversuche (S.20ff.)  

 

Dabei geht die Orientierungshilfe davon aus, dass kein Staat oder Unternehmen tatsächlich ethisch-nachhaltig wirtschaften können, so dass es bei der Kapitalanlage immer nur um die „pragmatische Abwägung“ innerhalb „unterschiedlicher Graustufen“ und damit eine Einzelfallprüfung innerhalb der vom Geldanleger individuell festgelegten „Grenz- und Schwellenwerte“ gehen kann (S.17). Von daher hat die Orientierungshilfe der Katholischen Kirche durchaus große Parallelen zum Vorgehen unseres Projektes bei der Entwicklung unseres „Nachhaltigkeits-Checks“.

 

Keinerlei operationalisierte Kriterien liefert leider die sog. "Darmstätter Definition" des Wuppertaler Instituts für Klima und Umwelt, die zwar für nachhaltige Geldanlagen die drei Dimensionen ökonomisch, ökologisch und sozial-kulturell definiert, dies aber nur anhand weniger allgemeiner und exemplarischer Bespiele, die dem Geldanleger in der Praxis keine echte Hilfe sind. (Vgl. http://www.enodo.de/downloads/DarmstaedterErklaerung.pdf)

 

Gleiches gilt für die recht utopische "Wunschliste" (sog. "Frankfurt-Hohemheimer Leitfaden") Des Vereins zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit in der Geldanlage ("CRIC" = Corporate Responsibility Interface Center e. V.). Kein Unternehmen und kein Staat dieser Welt werden jemals diese 800 Kriterien vollständig erfüllen. Der Kriterienkatalog ist damit wenig praktikabel. (Vgl. 

http://www.cric-online.org/ethischinvestieren/f-h-leitfaden)

 

Umfassend und überlegt sind z.B. auch die "Richtlinien zur ethisch–nachhaltigen Geldanlage" der Bewegungsstiftung. Doch auch hier sind die Negativkriterien eher exemplarisch (z.B. Geldanlage in Rüstung, Atomtechnologie, bestimmte Formen der Gentechnologie und Kinderarbeit) und die Positivkriterien sehr allgemein und kaum operationalisiert (zukunftsfähigen Branche, soziale oder technische Innovationen, Lösung gesellschaftlicher Probleme u.a.). 

 

Einen guten Überlegungsansatz bieten auch die zwölf Kriterien des Buchautors Werner Schwanfelder ("Wie Sie Profit machen und nebenbei die Welt verbessern"). Auch diese müssten allerdings noch konkretisiert werden, um praktisch handhabbar zu werden. Und sie sind viel zu umfangreich. Der bloße Verweis auf diesbezügliche Ratingagenturen erscheint etwas blauäugig.

  

Neben den aufgeführten Konkretisierungsversuchen gibt es noch viele andere Kriterienkataloge von Unternehmen, Investmentgesellschaften, Ratingagenturen und privaten Initiativen. Sie arbeiten fast alle mit nur wenigen Positiv- oder Negativkriterien zur Kennzeichnung nachhaltiger Geldanlagen (z.B. keine Landminenproduktion, Atomkraft oder Kinderarbeit, jedoch Selbstverpflichtung zur Einhaltung irgendwelcher internationaler Abkommen). 

 

Viele Fondsgesellschaften versuchen auch, der Schwierigkeit einer klaren Bewertung und Zuordnung teilweise dadurch zu entgehen, dass man im sog. „Best Class“-Ansatz die Unternehmen und Institutionen als Anlageobjekte auswählt, die in ihrer Klasse (z.B. Energiewirtschaft) die nachhaltigsten sind. Es fragt sich aber, ob man einem unsicheren Atomkraftwerk mit ungelöster Endlagerung oder einem Unternehmen mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen das Prädikat Nachhaltigkeit geben kann, nur weil sie in ihrer Branche nachhaltiger als andere Unternehmen oder Institutionen sind, die noch weniger oder überhaupt nicht nachhaltig sind. Auch dieser Ansatz ist daher unbefriedigend.

 

Ebenso unbefriedigend sind Bewertungsansätze, welche die Nachhaltigkeit von Unternehmen bewerten, indem sie z.B. 10 Kriterien vorgeben und dann daraus Gesamtprozentzahlen für Nachhaltigkeit errechnen. Auf diese Weise ist dann ein Erdölkonzern, der enorme Umweltschäden verursacht, zu 90% nachhaltig, weil er keine Glückspiele und Sexgeschäfte betreibt, keine Kriegswaffen und Tabak verkauft und keine Kinder arbeiten lässt etc. (vgl. z.B. einen ähnlichen Ansatz bei faire-rente.de). Ein solches Ratingverfahren kommt zwangsläufig zu perversen Ergebnissen.

 

Man wird also wohl um klare Kriterien nicht herumkommen, wenn man die Nachhaltigkeit von Geldanlagen glaubwürdig bewerten will.

 

 

Aktuelle Entwicklung und Ausblick 

 

Leider sieht auch die neuere Entwicklung nicht gerade nach Nachhaltigkeit, sondern eher nach "Greenwashing" aus, wie die vier folgenden Beispiele zeigen:

 

1) Die Deutsche Börse in Frankfurt hat soeben mit dem „Dax 50 ESG“ einen eigenen Nachhaltigkeitsindex eingeführt. Er soll die Unternehmen beinhalten, die sich besonders um Umweltschutz, soziale Fragen und eine gute Unternehmensführung bemühen (ESG= Environmental+ Social+ Governance).

 

Das Ergebnis ist ein absoluter Witz: Allein von den 30 Dax-Konzernen sind 23 im „Dax 50 ESG“ enhalten, darunter die Autokonzerne Daimler und BMW, die Lufthansa und der Bayerkonzern, der eben den Saatgutkonzerns Monsanto übernommen hat und weltweit wegen Personen- und Umweltschäden verklagt wird. Bayer hat sogar den größten Anteil am Index. Ausgeschlossen wurde hingegen der Dialysehersteller und Krankenhausbetreiber Fresenius und das Immobilienunternehmen Vonovia, beide vermutlich wegen unzureichender Angaben auf ihrer Internetseite, der Zahlungsdienstleister Wirecard (Gerüchte wegen Bilanzmanipulationen) und der Triebwerkbauer MTU Aero Engines (wegen Motorenproduktion für die Bundeswehr).

 

Ein solcher „Nachhaltigkeits“-Index, der im wesentlichen Automobilwerte, Kohlekraftwerke, Luftverkehr und Unkrautvernichter beinhaltet, ist grob irreführend und dient letztlich nur der Täuschung der Öffentlichkeit und der Anleger. Selbst die Finanzplattform Wallstreet-online spricht hier offen von einer "Mogelpackung".

 

2) Inzwischen arbeitet auch die EU an einem Klassifizierungssystem für nachhaltige Geldanlagen, das bis 2022 eingeführt werden soll. Es umfasst drei Stufen und orientiert sich vor allem am CO2-Ausstoß von Unternehmen. Nach der aktuellen Diskussion sind daher selbst Atomkraftwerke als "grün" eingestuft, zwar eingeschränkt, aber letztlich doch. Das ist völlig unakzeptabel, könnte aber das Ergebnis eines politischen Kompromisses werden. Besonderes Schmankerl am Rande: 2020 bestellte die EU einen Vermögensverwalter von Blackrock, dem größten und undurchsichtigsten Finanzfonds dieser Erde, als "Nachhaltigkeitsbeauftragten" der EU.  

 

In dem aktuell vorliegenden EU-Kommissionsentwurf wurden sechs Umweltziele definiert: a) Klimaschutz; b) Anpassung an den Klimawandel; c) die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen; d) der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft; e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung; f) der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

 

Auf diesem Hintergrund gelten alle Wirtschaftstätigkeiten als Beitrag zum Klimaschutz, wenn sie Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre stabilisieren oder eine Störung des Klimasystems verhindern. Dies betrifft vor allem: a) Erzeugung, Übertragung, Speicherung, Verteilung oder Nutzung erneuerbarer Energien b) Steigerung der Energieeffizienz c) Ausbau klimaneutraler Mobilität; d) Nutzung erneuerbarer Materialien nachhaltiger Herkunft; e) Nutzung umweltverträglicher CO2-Technologien f) regenerative Landwirtschaft g) dekarbonisierte Energieinfrastruktur h) Erzeugung sauberer Kraftstoffe.

 

Wie man sieht, sind das Klassifikationssystem der EU, seine Investorenpflichten und die Referenzwerte für CO2-arme Investitionen ausschließlich auf den ökologischen Aspekt von Nachhaltigkeit gerichtet, soziale oder ökonomische Aspekte spielen keine Rolle.

 

Und wie bei allen aktuellen Ansätzen besteht das Procedere darin, dass die geplant 50.000 Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte nach diesen Kriterien veröffentlichen.

 

Auf dieser Basis soll dann langfristig ein EU-Siegel für grüne Finanzprodukte vergeben werden. Und die Banken sind dann gehalten, bei ihrer Beratung auf diese Produkte hinzuweisen.

 

Letzte Meldung: Soeben haben EU-Kommission und EU-Parlament Atomstrom als "nachhaltig" erklärt (07.07.2022). Damit hat sich u.E. die ganze Nachhaltigkeitsdebatte erledigt. Wenn ich eine Technologie, die die Erde Tausende von Jahren belastet und für die wir noch immer keine gesicherte Entsorgung besitzen, als "nachhaltig" erkläre, dann ist das Ganze nur noch ein schlechter Witz. Atomstrom ist so "nachhaltig" wie der russische Einmarsch in der Ukraine eine "Sonderoperation" ist. Der Inhalt von Worten wird aus politischen Gründen pervertiert. 

 

Generell sind die Bestrebungen der EU im Rahmen des "green deal" wohl die weitgehendsten und umfassendsten auf der Welt. Letztlich werden wohl alle mittleren und größeren Unternehmen Maßnahmen ergreifen müssen, um ESG-Standards einzuhalten und zu verbessern und sie werden sogar in hohem Maße schadensersatzpflichtig werden, wenn sie diese Anforderungen verfehlen. Zudem übt die EZB massiven Druck auf die Banken aus, Kredite nur noch im Kontext von ESG-Standards zu vergeben, was die Finanzierung von Unternehmen erschwert, die nicht die vorgegebenen Nachhaltigkeitsforderungen erfüllen. 

 

3) Das Klassifizierungssystem, auf das sich die EU-Kommission ursprünglich beziehen wollte, stammt von der „DVFA“, einer Standesorganisation aller Investment Professionals in den deutschen Finanz- und Kapitalmärkten. Mit dessen „Policy for Responsible Investment Scoring“-Ansatz ( = PRISC-Score) können in Zukunft alle Emittenten von Geldanlagen ihr eigenes Scoring erstellen (und vorher die Bilanz so ausrichten, dass es gut ausfällt). Die Kriterien sind so breit und beliebig definiert (Ausschlusskategorien + Impact + ESG-Messmethode + Best-in-Class +ESG Top % + ESG Frequenz + Stimmrechtsausübung + Engagement), dass es wohl kein Unternehmen gibt, das sich dadurch nicht irgendwie als „nachhaltig“ darstellen kann. Die Ratingagenturen brauchen dann diese Eigendarstellung der Unternehmen nur noch übernehmen. Wie praktisch - Greenwashing at ist best!

 

 

4) Immer mehr Investmentgesellschaften orientieren sich inzwischen auch an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen („Sustainable Development Goals“). Zu diesen „SDG“-Zielen gehören die Beendigung der Armut, die Bekämpfung von Hunger, der Zugang zu sauberem Wasser, die Verbesserung der Infrastruktur, die Durchsetzung der Geschlechtergerechtigkeit, die Verbesserung von Frieden und Sicherheit, eine bessere Gesundheitsversorgung, ein nachhaltigeres Konsumverhalten, Klimaschutz, der Schutz der Ozeane sowie eine bessere Schulbildung für Kinder. Es handelt sich also um viele, sehr allgemeine Zielsetzungen, die sich die UNO von den Staaten dieser Welt erhoffen. Eine praktikable Richtschnur für die Messung und Beurteilung von Nachhaltigkeit oder gar der Nachhaltigkeit von Geldanlagen können diese Utopien nicht sein. Sie sind auch in keinster Woche konkretisiert. Nach diesen Kriterien wäre die Bundeswehr ebenso nachhaltig wie ein Aluminiumwerk, das Arbeitsplätze schafft. Das kann nicht sein.

 

Fakt aber ist, dass immer mehr Unternehmen und Fonds sich  mit ihrer Nachhaltigkeit brüsten, wenn sie nur in einem dieser 17 Geschäftsbereiche tätig sind - und dies ungeachtet irgendwelcher tatsächlicher Nachhaltigkeitsbestrebungen. Ein Unternehmen, das Nahrungsmittel produziert, egal wie, ist damit schon automatisch nachhaltig. Ebenso jedes Unternehmen, das Beschäftigte hat, das Infrastruktur schafft, das wissenschaftliche Forschung betreibt oder das Kommunikationstechnologie anbietet. Es ist schwer, ein Unternehmen zu finden, das nicht einem dieser 17 Nachhaltigkeitsziele zuzuordnen ist. Das ist "Greenwashing" übelster Art. Das Handelsblatt spricht in seinem Nachhaltigkeitsreport 4/20 sogar von umfassender, systematischer "Schönfärberei" (S.2 ff.). 

 

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat deswegen sogar schon gegen einen Investmentfonds wegen fragwürdiger Nachhaltigkeitsversprechen und Irreführung der Verbraucher Klage eingereicht. Es wird interessant sein zu beobachten, wie Gerichte hier entscheiden werden (Quelle).

 

Grundlage dieser Schönfärberei sind die weltweit führenden „Nachhaltigkeits“-Indices. So bildet z.B. der viel verwendete „S&P 500 ESG Index“ die besten 75% der Unternehmen mit den höchsten „S&P Dow Jones Index ESG-Scores“ ab. Ausgeschlossen sind Unternehmen, die mit Tabakindustrie oder mit umstrittenen (!) Waffen zu tun haben oder die nicht an den Prinzipien des „UN Global Compact“ ausgerichtet sind. Das sind von der UN definierte Zielvorgaben wie z.B. Schutz der Menschenrechte, Verbot von Kinderarbeit etc., für die sich Unternehmen einsetzen sollen. Das Ergebnis ist ein nach der Marktkapitalisierung gewichteter Index mit 311 der 500 S&P-Unternehmen, die sich  ESG-Profilen (Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung) verpflichtet haben. Auch diese formalisierte Lösung mit 75% automatischer Nachhaltigkeit und der Bewertungsbasis von nicht überprüften Goodwill-Erklärungen auf der Homepage ist natürlich eine Augenwischerei nach dem Motto „Unter den Blinden ist der Einäugige König“. 

 

5) Auch von den Fintechs ist so schnell keine Wunderlösung zu erwarten: So verspricht z.B. „YOURSRI“ einen Nachhaltigkeits-Check per Knopfdruck. Eine nähere Untersuchung zeigt: Viele Geldanlagen sind überhaupt nicht vorhanden. Es werden nur die Dimensionen Umwelt, Kohle und Soziale Verantwortung einbezogen. Die Reports stellen einen für Laien unübersichtlichen Wust von Zahlen und Einzelbewertungen dar, in dem man sich nur höchst mühsam zurechtfindet. Und ein Blick auf die Bewertungsergebnisse zeigt sehr schnell, dass die Bewertungen viel zu gut sind (z.B. der "DEKA Nachhaltigkeit Aktien CF" hat bei uns nur gelb, bei „YOURSRI“ jedoch vier von fünf grünen Blättern und dies trotz Post, Nestle und Toyota). 

 

Hoffnung auf eine tatsächliche Verbesserung machen derzeit nur die wirklich weitgehenden Empfehlungen des „Sustainable Finance“-Beirats der Deutschen Bundesregierung vom Februar 2021 (Zusammenfassung). Würden sie umgesetzt werden, würde dies tatsächlich zu Veränderungen in den Unternehmen und bei der Geldanlage führen.

 

 

Kritik am Kriterium „ESG“ als Nachhaltigkeitsmaßstab  

 

Der Dreiklang „Environment Social Governance“ ist methodisch inkonsistent, weil  der gute Wille zur Unternehmensführung ("Governance") kein eigenständiges Kriterium sein kann. Gute oder schlechte Unternehmensführung ist vielmehr das Ergebnis dessen, was ein Unternehmen tatsächlich ökonomisch, ökologisch und sozial leistet. „G“ Kann also nur das Ergebnis von „E“ + „S“ + „Oeconomic“  sein, nicht aber ein eigenes Kriterium.

 

Dass „ESG“ dennoch begrifflich immer mehr als anderer Begriff für Nachhaltigkeit verwendet wird, ist leicht nachvollziehbar: Die Definition ist für beide Seiten vorteilhafter, für die Unternehmen (es reicht schon, Nachhaltigkeitsziele aufzustellen, das verbessert schon das Rating) und für die Ratingagenturen (sie müssen im Idealfall keine eigenen Untersuchungen mehr durchführen, sondern nur noch den Nachhaltigkeitsbericht auf der Unternehmenshomepage in ihre Datenbank übertragen).

 

Verlierer dieses stillschweigenden Arrangements sind die Unternehmen, die dabei nicht mitspielen: So wurden gerade eben der Krankenhausbetreiber Fresenius und das Immobilienunternehmen Vonovia vermutlich deswegen nicht in den „Dax 50 ESG“ aufgenommen, weil sie keinen Nachhaltigkeitsreport und nicht die gewünschten Selbstverpflichtungen auf ihrer Internetseite haben. Dieses Vorgehen hat mit tatsächlichem Bemühen um Nachhaltigkeit nichts zu tun. 

 

Ungeachtet dieser Schönfärberei ist aber auch nicht zu verkennen, dass sich viele Unternehmen, Institutionen, Kommunen und Staaten tatsächlich schon um mehr Nachhaltigkeit bemühen. Selbst die seit dem Zukauf des Saatgutproduzenten Monsanto höchst umstrittene Bayer AG könnte mit ihren Produktinnovationen und ihrer geplanten Handelsplattform für CO2-Emissionsgutschriften im Bereich Landwirtschaft durchaus noch zu einem Vorreiter für Nachhaltigkeit werden, wenn es dadurch gelingt, mehr CO2 in landwirtschaftlich genutzten Böden zu binden.  

 

Kritik an einer Nachhaltigkeitsbeurteilung auf Basis von Selbstdarstellungen und Zieldefinitionen der untersuchten Unternehmen

 

Es ist natürlich verführerisch: Die Unternehmen sollen vierteljährlich oder jährlich Nachhaltigkeitsberichte ins Netz stellen, die genau so aufgebaut sind, wie die Datenbanken der Ratingagenturen dies möchten. Für die Agenturen ist dies am einfachsten und am billigsten, da automatisierbarer Input und Output. Und für die  Unternehmen ist es auch nicht schlecht. Sie wissen dann genau, was sie in ihre Reports hineinschreiben müssen, um gute Bewertungen zu bekommen. Ob tatsächlich etwas gemacht wird, ist i.d.R. völlig unerheblich. Entscheidend ist die richtige Formulierung im Report. Und vielfach sind sogar nicht die Maßnahmen, sondern die Ziele entscheidend. Ob die Ziele dann eingelöst werden, ist unerheblich. Man kann dies als Augenwischerei, Selbstbetrug oder eben als "Greenwashing" bezeichnen.

 

Immer stärkere Kritik an der Kompensation von Klimaschäden durch Zertifikatserwerb

 

Alle neueren Untersuchungen deuten inzwischen darauf hin, dass die Kompensation von eigenen Umweltschäden durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten nicht funktioniert, da die angeblichen CO2-Einsparungen in der Realität überhaupt nicht existieren. Eine Untersuchung von 26 Projekten ergab nur bei zwei Projekten geringe CO2-Einsparungen (weit weniger als behauptet!), in nahezu allen anderen Fällen waren keinerlei Einsparungen messbar oder belegt.

 

Eine andere Untersuchung von 18 Projekten brachte das gleiche Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass die meisten Projekte die Entwaldung nicht signifikant verringert haben. Bei den Projekten, bei denen dies der Fall war, waren die Reduzierungen wesentlich geringer als behauptet.“ Tatsächlich wurden dreimal mehr Emissionen verkauft als verhindert, 75% der Versprechen waren also ein Schwindel.

 

Eine Experte der Uni Hamburg kommt zu dem Ergebnis: Die Projekte sind ineffektiv für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für die Betreiber.“ 

 

https://science.orf.at/stories/3220924/

https://www.spektrum.de/news/waldschutz-zertifikate-die-grosse-kompensationsluege/2173485

 

https://web.de/magazine/wissen/klima/co2-zertifikate-sinnvoller-klimaschutz-greenwasching-38563844

 

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